Haverlahwiese vor 50 Jahren
Verfasst: Do. 29. Nov 07 11:48
Er hat überlebt, sein Vater nicht
Zeitzeugen berichten: Vor 50 Jahren starben bei einem Erdrutsch im Schacht Haverlahwiese drei Bergleute
Von Josef Jassan
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GEBHARDSHAGEN. Diese Geräusche wird Horst Kruffke niemals vergessen: "Es gab einen Knall, ein gewaltiges Fauchen und eine Staubwolke." Dann rannte der 18-jährige Lehrhauer um sein Leben. Er hat es geschafft – sein Vater nicht. Das war am 26. November 1957, heute vor 50 Jahren.
Mit dem 42 Jahre alten Schießhauer Josef Kruffke aus Salzgitter-Bad starben damals bei dem Grubenunglück in der Schachtanlage Haverlahwiese der 33-jährige Fahrsteiger Heinz Rudat und der ein Jahr ältere Schlosser August Schwarzer, beide aus Gebhardshagen. 120 Meter unter der Erde, auf der +40-Meter-Sohle, waren gegen 18 Uhr mit großer Wucht Unmengen losen Tonschlamms eingebrochen, der die drei Bergleute unter sich begrub.
Die Lawine füllte die 4,50 Meter breite und 3,20 Meter hohe Strecke in Minutenschnelle auf einer Länge von 80 Metern – Loren und ein tonnenschweres Ladegerät wie Spielzeug vor sich herschiebend. In letzter Sekunde konnten sich Kurt Rühe aus Gebhardshagen, Harry Leisner aus Steinlah und Horst Kruffke in Sicherheit bringen. "Der Luftzug hatte unsere Karbidlampen gelöscht, es war stockfinster", berichtet der 68-Jährige mit bewegter Stimme.
Der ehemalige Bergmann hat noch immer Alpträume
Noch immer habe er Alpträume, wache nachts plötzlich auf. Kruffke: "Das lässt einen nicht mehr los." So wie einst die zähe Tonmasse die Verschütteten festhielt. Der Bergungstrupp brauchte fast vier Wochen, bis er am 19. Dezember das letzte Todesopfer gefunden hatte: Josef Kruffke. Die Beisetzungen haben unter großer öffentlicher Anteilnahme stattgefunden.
Sein Vater seit erst 1948 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden, sagt der Rentner, der vor 62 Jahren schon den Unfalltod seines Bruders mit ansehen musste. Als Horst und Josef Kruffke an jenem Schicksalstag mit dem Werksbus zur Mittagsschicht fuhren, ahnten sie von dem drohenden Unheil freilich noch nichts.
"Mein Vater und ich sollten Erzreste abbauen. Wir bohrten Löcher ins Gestein, stopften die Sprengpatronen rein und zündeten die Ladung elektrisch", schildert er das Tagwerk. Das verrichteten sie "in sehr schlechter Luft und bei mehr als 30 Grad Hitze". Kruffke: "Wir hatten nur Grubenschuhe und Badehosen an."
Die Steinbrocken fuhr ein so genannter Salzgitter-Lader ab. Als dessen Bedienungspersonal den beiden Bergleuten gegen 17 Uhr einen geringen Tonschlammeinbruch meldeten, verständigten diese Fahrsteiger Heinz Rudat. Die Mannschaft versuchte, die Stelle mit Holzpfählen abzustützen. Der ebenfalls hinzugezogene Schlosser August Schwarzer sollte ein störendes Lüftungsrohr entfernen und musste dazu einen großen Ventilator abschrauben.
Kruffke: "Er wollte gerade die letzte Mutter lösen, da krachte alles zusammen. Weil es schon zuvor überall im Gebälk geknistert hatte, wollte der 18-Jährige seinen Vater auf den ungeheuren Druck aufmerksam machen. Doch der habe nur abgewinkt. Sein letztes Lebenszeichen.
Völlig überraschend sei das Unglück nicht gekommen, weiß Günter Hahn aus Gebhardshagen. Der heute 76-Jährige bildete seinerzeit als Meisterhauer in der Schachtanlage Haverlahwiese Berglehrlinge aus. Er sagt, dass bereits ein halbes Jahr zuvor ein 22-jähriger Bergschüler an derselben Stelle von einbrechenden Schlammmassen getötet worden sei. Dort seien am 26. November 1957 auch sechs Auszubildende und er tätig gewesen – glücklicherweise in der Frühschicht.
Schon zuvor hatte es ein Todesopfer gegeben
Das Oberbergamt in Clausthal habe als Unfallursache mit Regenwasser voll gelaufene Löcher im Erztagebau ermittelt. Hahn: "Je mehr unter Tage abgebaut wurde, desto mehr drückte das Erdreich des ausgebeuteten Tagebaus von oben nach. Das wirkte wie ein riesiger Trichter."
Zudem hätten anhaltende Regenfälle den Boden stark aufgeweicht. Doch erst nach dem Tod der drei Bergleute wurden die Abbaulöcher im Tagebau verfüllt. "Danach", so Hahn, "hat es bis zum Ende von Haverlahwiese, 1982, keinen derartigen Unfall mehr gegeben."
So lange konnte Horst Kruffke allerdings nicht warten. "Ich habe es dort noch fünf Jahre ausgehalten, dann bin ich zu MAN gegangen", schildert er. Von 1970 bis zu seinem Ruhestand vor vier Jahren war er bei der Firma Meyer in Salzgitter-Bad tätig. Heute widmet sich der Rentner der Brieftaubenzucht. Er ist verheiratet, hat drei erwachsene Söhne und zwei Enkelkinder.
Glück Auf
Horst
Zeitzeugen berichten: Vor 50 Jahren starben bei einem Erdrutsch im Schacht Haverlahwiese drei Bergleute
Von Josef Jassan
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GEBHARDSHAGEN. Diese Geräusche wird Horst Kruffke niemals vergessen: "Es gab einen Knall, ein gewaltiges Fauchen und eine Staubwolke." Dann rannte der 18-jährige Lehrhauer um sein Leben. Er hat es geschafft – sein Vater nicht. Das war am 26. November 1957, heute vor 50 Jahren.
Mit dem 42 Jahre alten Schießhauer Josef Kruffke aus Salzgitter-Bad starben damals bei dem Grubenunglück in der Schachtanlage Haverlahwiese der 33-jährige Fahrsteiger Heinz Rudat und der ein Jahr ältere Schlosser August Schwarzer, beide aus Gebhardshagen. 120 Meter unter der Erde, auf der +40-Meter-Sohle, waren gegen 18 Uhr mit großer Wucht Unmengen losen Tonschlamms eingebrochen, der die drei Bergleute unter sich begrub.
Die Lawine füllte die 4,50 Meter breite und 3,20 Meter hohe Strecke in Minutenschnelle auf einer Länge von 80 Metern – Loren und ein tonnenschweres Ladegerät wie Spielzeug vor sich herschiebend. In letzter Sekunde konnten sich Kurt Rühe aus Gebhardshagen, Harry Leisner aus Steinlah und Horst Kruffke in Sicherheit bringen. "Der Luftzug hatte unsere Karbidlampen gelöscht, es war stockfinster", berichtet der 68-Jährige mit bewegter Stimme.
Der ehemalige Bergmann hat noch immer Alpträume
Noch immer habe er Alpträume, wache nachts plötzlich auf. Kruffke: "Das lässt einen nicht mehr los." So wie einst die zähe Tonmasse die Verschütteten festhielt. Der Bergungstrupp brauchte fast vier Wochen, bis er am 19. Dezember das letzte Todesopfer gefunden hatte: Josef Kruffke. Die Beisetzungen haben unter großer öffentlicher Anteilnahme stattgefunden.
Sein Vater seit erst 1948 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden, sagt der Rentner, der vor 62 Jahren schon den Unfalltod seines Bruders mit ansehen musste. Als Horst und Josef Kruffke an jenem Schicksalstag mit dem Werksbus zur Mittagsschicht fuhren, ahnten sie von dem drohenden Unheil freilich noch nichts.
"Mein Vater und ich sollten Erzreste abbauen. Wir bohrten Löcher ins Gestein, stopften die Sprengpatronen rein und zündeten die Ladung elektrisch", schildert er das Tagwerk. Das verrichteten sie "in sehr schlechter Luft und bei mehr als 30 Grad Hitze". Kruffke: "Wir hatten nur Grubenschuhe und Badehosen an."
Die Steinbrocken fuhr ein so genannter Salzgitter-Lader ab. Als dessen Bedienungspersonal den beiden Bergleuten gegen 17 Uhr einen geringen Tonschlammeinbruch meldeten, verständigten diese Fahrsteiger Heinz Rudat. Die Mannschaft versuchte, die Stelle mit Holzpfählen abzustützen. Der ebenfalls hinzugezogene Schlosser August Schwarzer sollte ein störendes Lüftungsrohr entfernen und musste dazu einen großen Ventilator abschrauben.
Kruffke: "Er wollte gerade die letzte Mutter lösen, da krachte alles zusammen. Weil es schon zuvor überall im Gebälk geknistert hatte, wollte der 18-Jährige seinen Vater auf den ungeheuren Druck aufmerksam machen. Doch der habe nur abgewinkt. Sein letztes Lebenszeichen.
Völlig überraschend sei das Unglück nicht gekommen, weiß Günter Hahn aus Gebhardshagen. Der heute 76-Jährige bildete seinerzeit als Meisterhauer in der Schachtanlage Haverlahwiese Berglehrlinge aus. Er sagt, dass bereits ein halbes Jahr zuvor ein 22-jähriger Bergschüler an derselben Stelle von einbrechenden Schlammmassen getötet worden sei. Dort seien am 26. November 1957 auch sechs Auszubildende und er tätig gewesen – glücklicherweise in der Frühschicht.
Schon zuvor hatte es ein Todesopfer gegeben
Das Oberbergamt in Clausthal habe als Unfallursache mit Regenwasser voll gelaufene Löcher im Erztagebau ermittelt. Hahn: "Je mehr unter Tage abgebaut wurde, desto mehr drückte das Erdreich des ausgebeuteten Tagebaus von oben nach. Das wirkte wie ein riesiger Trichter."
Zudem hätten anhaltende Regenfälle den Boden stark aufgeweicht. Doch erst nach dem Tod der drei Bergleute wurden die Abbaulöcher im Tagebau verfüllt. "Danach", so Hahn, "hat es bis zum Ende von Haverlahwiese, 1982, keinen derartigen Unfall mehr gegeben."
So lange konnte Horst Kruffke allerdings nicht warten. "Ich habe es dort noch fünf Jahre ausgehalten, dann bin ich zu MAN gegangen", schildert er. Von 1970 bis zu seinem Ruhestand vor vier Jahren war er bei der Firma Meyer in Salzgitter-Bad tätig. Heute widmet sich der Rentner der Brieftaubenzucht. Er ist verheiratet, hat drei erwachsene Söhne und zwei Enkelkinder.
Glück Auf
Horst