VDI-Nachrichten: Kommilitonen kraxeln für die Karriere

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MichaP
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Kommilitonen kraxeln für die Karriere
Persönlichkeitstraining: Im Freiberger Lehrbergwerk „Reiche Zeche“ testen Studenten Belastbarkeit und Teamfähigkeit
VDI nachrichten, 23.5.2003
Tief unter der Erde, im Reich der Finsternis, sind alle Menschen gleich. Das haben auch zehn Freiberger Studenten während ihres Selbsterfahrungstrips unter Tage festgestellt. Die VDI nachrichten begaben sich mit den angehenden Führungskräften 150 m tief unter die Erde.

Dominik ächzt, dann hält er inne, holt Luft und schickt einen kaum hörbaren Fluch in die Dunkelheit. Aber auch das bringt nichts. In 4 m Höhe scheint es kein Weiter mehr zu geben. An der rund 60 º steilen, glitschigen Schachtwand finden seine Gummistiefel keinen Halt, seine Hände keinen Griff. Benedikt rutscht 1 m ab, bevor das sichernde Seil seine Wirkung tut. Jetzt nur die Ruhe bewahren und neue Kräfte sammeln. Schwächeln gilt nicht. Die 24 m hohe Schachtwand duldet keine halbherzigen Manöver.
Nach 20 Minuten hat Dominik Ackermann das Plateau erreicht. „Die ersten Meter waren Horror“, bilanziert der BWL-Student. Von wegen „keine große physische Belastung“, wie Bernd Wilhelm, Leiter des Universitäts-Sportzentrums im sächsischen Freiberg, den zwei Studentinnen und acht Studenten vor der Halbtages-Tour ins Lehrbergwerk verheißen hatte. 150 m unter der Erde, in der Grube „Reiche Zeche“, erproben die zehn Teilnehmer den „Umgang mit unbekannten Situationen“, wie die TU Bergakademie Freiberg ihre Unter-Tage-Expeditionen genannt hat. Bei dem Persönlichkeitstraining, das sich in sieben Vormittage mit jeweils verschiedenen Aufgabenstellungen gliedert, geht es nicht darum, die körperliche Fitness fürs spätere Berufsleben zu stählen, sondern darum, Denkanstöße zu geben. „Viele angehende Führungskräfte glauben doch, sie seien Einzelkämpfer und könnten die Geschicke eines Unternehmens oder einer Abteilung in Eigenregie lenken. Dabei verlangen flache Hierarchien Teamgeist und Verantwortungsbewusstsein. Wer seine Stärken und Schwächen erkennt, ist darüber hinaus lernfähiger. Und eben deshalb ist dieses Seminar so wichtig“, erklärt Wilhelm.
Kathrin Ceyrowsky glaubt, eine dieser Schwächen ausgemacht zu haben. Ungläubig beobachtet sie, wie der klettererfahrene Eric Pfefferkorn an der Schachtwand zu verzweifeln droht. Die Mimik der Maschinenbau-Studentin spricht Bände: „Wenn es schon dieses Kraftpaket kaum schafft, wie soll mir dann der Aufstieg gelingen?“ Aber aus Fehlern lernt man – und wenn es die Fehler der anderen sind. Bedächtig und wohlüberlegt meistert Kathrin Meter um Meter, gibt dem sichernden Bergwerksmitarbeiter Stefan Leibelt exakte Anweisungen und lässt sich auch durch zwischenzeitliche Stillstände nicht aus dem Konzept bringen. BWL-Studentin Maria Bösenberg kommentiert: „Das sind Situationen, da beißt man sich durch.“ Kommilitone Christoph Lüdecke war kurz davor, aufzugeben, „dann hat mir aber Martin gesagt, wo ich am besten Halt finde. Das war super“. Womit Lektion eins gelernt wäre: Mit Kraft allein sind Aufgaben nicht zu bewältigen und allein ist man aufgeschmissen.
Das weiß keiner besser als Grubenbetriebsleiter Manfred Bayer, der zum vierköpfigen Begleitteam gehört – alles kernige Mannsbilder, die man sich abends am Lagerfeuer und nicht vor dem Fernseher vorstellt. Trotz seiner herausgehobenen Stellung wird auch „Kumpel Manfred“ gnadenlos geduzt. Schließlich bleibt in Extremsituationen nicht die Zeit zu einem wohlformulierten „Hätten Sie bitte die Güte, auf die Sicherung zu achten, Herr Bayer“. Da kommt ein „Mensch, pass auf, Manfred!“ doch hart, aber herzlicher. Das ändert nichts an der Hierarchie. Die erfahrenen Bergleute haben das Sagen, schließlich wird einem kontinuierlich eingebläut: Sicherheit geht vor! Wer im feuchten, immer 10 º C kühlen Gruben-Labyrinth persönliche Animositäten ausleben will, ist schnell ausgegrenzt. Einzelgänger, Machos und Alleinunterhalter haben im Reich der Finsternis schlechte Karten. Womit auch Lektion zwei verinnerlicht wäre: Jede Aufgabe und jede Arbeit verdient Respekt, weil sie zum Gelingen des Ganzen beiträgt.
Gelegenheiten, die Persönlichkeit einem Qualitätstest zu unterziehen, gibt es reichlich. Das garantieren in der „Reichen Zeche“ rund 14 km begeh- oder kriechbare Strecke. Einige davon werden die zehn Studenten bei der nächsten Ochsentour kennen lernen. Dann gilt es, eine 25 kg schwere Trage durch die engen, stockdüsteren Stollen zu schleppen – zum Warmwerden. Später kommen rund 70 kg Lebendgewicht hinzu. Wilhelm: „Dann sollen die Teilnehmer Strategien entwickeln, wie die Strecke am besten zu bewältigen ist: Sollen auch die Frauen schleppen? Wer geht vorne, wer hinten, wer liegt auf der Trage? Wer gibt die Anweisungen?“ Führungsverantwortung eben. Das alles immer mit dem Wissen: You''ll never walk alone. Stoff also für Lektion Nummer drei: Kommunikationsfähigkeit schärfen, Verantwortung übernehmen.
Eine weitere Übung: Ein „Kumpel“ wird weit in einen der engen Stollen geschickt – allein mit sich, der Dunkelheit und dem Plätschern des knöchelhohen Wassers. Der Sinn des Alleinganges ist, mehr über sich selbst zu erfahren: Bin ich ein ängstlicher oder ein mutiger Typ? Wird mein Übermut gedämpft, wenn mein behelmter Kopf mit einem weit hörbaren „Klong“ an die tiefe Decke stößt oder wenn mein geistiges Auge einem blutrünstigen Höllenwesen begegnet? Lektion vier: Sinneswahrnehmung und Selbsteinschätzung.
Nach dem 1 km langen Rückmarsch durch den Hauptstollen und der Seilfahrt ans Tageslicht werden die Spuren des kleinen Psycho-Abenteuers sichtbar: Erleichterte, aber doch abgespannte Gesichter, olivgrüne Uniformen, die die Wände und Decken der engen Schächte mit rot-braunen Flecken versehen haben. Nach kurzer Wäsche ist Maschinenbau-Studentin Kathrin in ihre Jeans geschlüpft. Die 22-jährige Wuppertalerin sieht das Seminar als willkommene Gelegenheit, ihr weibliches Selbstvertrauen in einer von Männern dominierten Arbeitswelt zu erproben: „Bei den Übungen heißt es für uns Frauen: nur keine Blöße geben. Die Angst, sich in ungewohnten Situationen zu blamieren, ist auf jeden Fall vorhanden.“
BWL-Student Martin Bahde weiß, dass die Erfahrungen sich nicht 1:1 aufs Berufsleben übertragen lassen. Dennoch haben ihm die bislang absolvierten vier Fahrten ins Unterirdische „sehr viel gebracht. Vor allem habe ich gelernt, die Ruhe zu bewahren und die Wechselwirkungen zwischen mir und den anderen wahrzunehmen“, sagt der diplomierte Elektro-Ingenieur. „Je nach Lage muss man entscheiden: Halte ich mich jetzt zurück? Fahre ich dazwischen und sage meine Meinung? Das sind schon spannende Prozesse.“ Was für ihn eine Belastung darstelle, empfinde der andere als Bagatelle. Diese Verschiedenheit zu akzeptieren, sei wesentliche Grundlage, um mit anderen kommunizieren und ihnen gegebenenfalls helfen zu können.
Beim Abschied rufen sich die Kumpel-auf-Zeit „Glück auf!“ zu. Sie werden es brauchen, denn Fachwissen und die Erfahrungen aus ihren Untertage-Expeditionen könnten allein für eine zufrieden stellende Karriere über Tage nicht reichen. WOLFGANG SCHMITZ
http://www.tu-freiberg.de


Das Angebot der TU Bergakademie Freiberg
Die Persönlichkeit auf dem Prüfstand
„Umgang mit unbekannten Situationen – Entwicklung berufsbezogener Persönlichkeitseigenschaften“ heißt die Veranstaltungsreihe, die die TU Bergakademie Freiberg (4000 Studierende) ihren Studenten seit dem Wintersemester 2002 anbietet. Die zehn Teilnehmer müssen dafür unter die Erde, ins Lehrbergwerk „Reiche Zeche“. Bei diesen Exkursionen geht es um Eigenschaften wie Belastbarkeit, Leistungs- und Risikobereitschaft, Kommunikations-, Problemlösungs- und Teamfähigkeit. Sieben Mal jeweils rund vier Stunden absolvieren die Studenten in den jahrhundertealten Stollen und Schächten des Freiberger Silberbergbaus verschiedene praktische Übungen. Sie müssen sich orientieren und mit den Sicherheitsvorschriften auseinander setzen, Situationen „blind“ und „taub“ überwinden oder Aufgaben unter hoher körperlicher Beanspruchung bewältigen, wobei sie meist auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Die Studenten, die das Angebot aus dem Studium generale wählen, kommen aus den Bereichen Geowissenschaften, Geotechnik, Bergbau, Maschinenbau, Verfahrens- und Energietechnik sowie Wirtschaftswissenschaften. Die Nachfrage ist groß, die Kurse sind bis zum Sommer 2004 ausgebucht. tuf/ws


Quelle: VDI-Nachrichten
Glück auf!

Michael
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kapl
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Siehe auch

www.zeit.de/2003/18/schachtPersönlichkeit

Expedition ins Erdreich

Kriechen, keuchen und schuften im Schacht – ein Seminar im Dunkeln

Von Carsten Heckmann

Der Weg in eine leuchtende Zukunft beginnt mit einer Seilfahrt ins dunkle 16. Jahrhundert. Obersteiger Manfred Beyer schließt die Gittertür des Förderkorbs. Zwei helle Glockenschläge ertönen. Es geht abwärts, 100 Meter tief, in die Welt, in der Gänge Stollen heißen und Leitern Fahrten. Unter der sächsischen Stadt Freiberg versammeln sich an diesem Montagmorgen zwei Studentinnen und acht Studenten. Die „Reiche Zeche“ im Erzrevier wird für vier Stunden zu ihrer Seminar-Grube.

Umgang mit unbekannten Situationen – Entwicklung berufsbezogener Persönlichkeitseigenschaften – so lautet der Titel der Lehrveranstaltung an der TU Freiberg, bei der je zehn Studenten aller Fachrichtungen sieben mal vier Stunden in den Berg einfahren. Die Premiere gab’s im Wintersemester, hier läuft der Ferien-Kompaktkurs. Bis zum Sommer 2004 ist die Veranstaltung ausgebucht.

Die Studenten haben ihre Alltagskleidung gegen olivgrüne Hosen und Jacken getauscht. Schwarze und grüne Gummistiefel und blaue Bauarbeiterhelme komplettieren das Unter-Tage-Outfit, das schon eine Viertelstunde später ein Fall für die Waschmaschine sein wird. Die Teilnehmer werden kriechen und keuchen, schuften und schwitzen – und sollen so Denkanstöße bekommen, „für die Manager anderswo viel Geld bezahlen“, wie Kursleiter Bernd Wilhelm, Chef des Sportzentrums der TU Bergakademie Freiberg, glaubt. Was den Vorständen ihr Outdoor-Camp mit Floßbau und Gewaltmarsch, das ist den Studenten das Unter-Tage-Seminar mit Kistentransport und Blindenführung.

Acht Minuten lang geht es über einen Kilometer in Richtung Süden. Es ist finster. Nur die Grubenlampen an den Helmen tauchen das rot-braune Gestein stellenweise in ein fahles Licht. Wasser plätschert. Wenigstens ist es hier unten wie immer zehn Grad warm.

An der Lufttemperatur liegt es aber nicht, dass wenig später die ersten Schweißtropfen über Daniel Flügges Gesicht rollen. Der Geophysikstudent schleppt mit dem angehenden Maschinenbauer René Xyländer eine Trage durch einen engen Stollen, 25 Kilogramm schwer. Übung Nummer eins ist im Gange. Die Trage knallt scheppernd gegen die Wände, immer und immer wieder, die behelmten Köpfe stoßen öfter mal gegen die Decke.

„Nun tragt ihr schwer an der Verantwortung“, sagt Bernd Wilhelm doppeldeutig zu einer anderen Gruppe. In der Tat: Auf deren Trage liegt die Verletzungssimulantin Nadine Georgi, Geologiestudentin, 70 Kilogramm. Für die vier Männer an den Griffen bedeutet das Schwerstarbeit. Sie haben sich die Schleifgurte über die Schultern gehängt, die ersten Meter kommen sie noch gut voran – aber zu zweit nebeneinander ist an manchen Stellen kaum ein Durchkommen. „Halt, stopp, das schnürt ganz schön ab!“, ruft einer, „Au, meine Schulter!“, ein anderer. Zwangspause an einer windigen Stelle, kurze Strategiediskussion, neue Technik: Die Träger stehen sich vorn und hinten jeweils gegenüber, ihre Bäuche reiben aneinander wie beim Teletubby-Schmusen. Zentimeterweise geht es vorwärts. Genau so wie bei einer weiteren Übungsvariante: zwei Träger mit verbundenen Augen, eine sehende Führungsperson. Eine Führungspersönlichkeit? „Zu einem gewissen Teil will ich später schon Führungsverantwortung übernehmen“, wird Betriebswirtschaftsstudent Christian Walter nachher zu Protokoll geben. „Aber ob meine Führungsqualitäten da unten gereicht haben, das kann ich nicht einschätzen. Da hören alle auf einen, und man darf nichts Falsches sagen. Dieses Vertrauen zu rechtfertigen, das ist schon eine Bürde.“ Sätze wie diese hört Bernd Wilhelm sichtlich gern. „In solchen Situationen muss man die Nerven bewahren, klare Anweisungen geben, sich dazu auch überwinden. Alle müssen sich auf die Partner einstellen“, sprudelt es aus ihm heraus. „Das sind soziale Kompetenzen, die Sie später auch im Berufsleben brauchen.“ Training im Schacht, oben eine Macht, so soll es im Idealfall aussehen.

Denkprozesse sollen sie auslösen, die Übungen, die sich Wilhelm und sein Partner Bernd Eulitz ausgedacht haben. Strecken zurücklegen mit verbundenen Augen und Ohren, auf Kommando eines Partners Gegenstände holen, Höhenunterschiede überwinden, Hindernisse aus dem Weg räumen – vor solchen Aufgaben stehen die Studenten, die sich scharenweise anmelden, um die Höhen und Tiefen von Decken und Psyche kennen zu lernen. Die beiden Bernds sind Sportlehrer, Psychologen fahren nicht mit ein. „Aber Psychologie war bei uns im Studium auch mit drin, wir sind da nicht völlig unbeleckt“, sagt Führungskraft Wilhelm und verweist nebenbei darauf, in welch hohem Maße die Persönlichkeit beim Sport gefördert werde: „Da kommen Grundemotionen wie Zorn und Wut hoch.“

Übung Nummer zwei an diesem Tag. Über eine Fahrt, also eine Leiter, sollen zehn Kilogramm schwere Kisten nach unten transportiert werden. Es geht 30 Meter senkrecht in die Tiefe. Das Platzangebot gleicht dem eines Kamins. Die Studenten legen Sitz- und Brustgurte an, wappnen sich mit Schlingen und Karabinern. Zu zweit machen sie sich an die Arbeit, einer oben, einer unten, zwei zusammengebundene Kisten dazwischen. Eine kraftraubende Angelegenheit. Soft skills erfordern eben hartes Training. Bernd Eulitz, im signalroten Overall, sagt: „Es ist eine Belastung, aber das muss man mal gemacht haben, um zu erkennen: So aussichtslos es auch erscheint, man kann es schaffen.“

Auch Bianca Böttge schafft’s. Die 20-Jährige studiert Keramik-, Glas- und Baustofftechnik. „Es macht Spaß hier unten, aber es ist natürlich Ernst, das sollte man nicht vergessen“, sagt sie. Den Kurs mal absolviert zu haben beweise nichts – die Note, die sie dafür bekommt, will sie sich dennoch auf das Abschlusszeugnis schreiben lassen. „Die Firmen achten auf Charaktereigenschaften, da wird das gut ankommen.“

Nach vier Stunden geht es wieder mit dem Förderkorb nach oben, der ersehnten Dusche entgegen. Und manch ein Teilnehmer mag insgeheim hoffen, dass die eigene Karriere dann doch nicht ganz so schweißtreibend wird wie das Training im Schacht.


(c) DIE ZEIT 24.04.2003 Nr.18

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