Tagungsbericht:Braunkohlenveredlung Niederlausitzer Revier

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kapl
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Tagungsbericht:Braunkohlenveredlung Niederlausitzer Revier

Beitrag von kapl »

Brandenburgische Technische Universität Cottbus, Lehrstuhl
Technikgeschichte; die Traditionsvereine "Glückauf Schwarze Pumpe" e.V.
sowie "Braunkohle Lauchhammer" e.V. und Vattenfall Europe Mining AG
24.11.2005-25.11.2005, Cottbus

Bericht von:
Torsten Meyer, LS Technikgeschichte, Brandenburgische Technische
Universität Cottbus
E-Mail: <meyert@tu-cottbus.de>

Am 31. August 1955 nahm der damalige Minister für Schwerindustrie der
DDR, Fritz Selbmann, den ersten Spatenstich des Aufbaues eines der
größten Industriekomplexe des Landes vor - Schwarze Pumpe. Fünfzig Jahre
später ist das ehemalige Energiekombinat nicht nur Geschichte, sondern
der so genannte Industriepark Schwarze Pumpe verkörpert auch die
Zukunftshoffnungen einer in den letzten 15 Jahren massiv
entindustrialisierten Region.[1] Von Geschichte und Zukunft berichteten
in diesem Jahr, dem Jubiläumsjahr, bereits drei Publikationen. Zum einen
hatte der ehemalige Generaldirektor des Kombinates, Dr. Herbert Richter,
seine autobiographischen Skizzen vorgelegt,[2] zum zweiten verfasste der
Traditionsverein "Glückauf Schwarze Pumpe" e.V. eine Biographie des
Standortes[3] und zum dritten legte der heutige Betreiber des
Braunkohlenkraftwerkes Schwarze Pumpe, die Vattenfall Europe Mining and
Generation, einen reich bebilderten Band zur Geschichte, Gegenwart und
Zukunft des Standortes vor.[4] In diesen Jubiläumsreigen reihte sich
auch die am 24./25. November 2005 veranstaltete Tagung
"Braunkohlenveredlung in der Niederlausitz. 50 Jahre Schwarze Pumpe" an
der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus ein, die gut 100
Teilnehmer besuchten.

Unter der Federführung des Lehrstuhls Technikgeschichte der BTU Cottbus
beteiligten sich an der Vorbereitung und Durchführung der Tagung die
Traditionsvereine "Glückauf Schwarze Pumpe" e.V., "Braunkohle
Lauchhammer" e.V. und Vattenfall Europe Mining and Generation. Mit
diesen vier Partnern waren sowohl Inhalte wie auch Adressatenkreis
verbunden. Es sollte nicht nur um eine historische Einordnung des
Kombinates Schwarze Pumpe gehen, sondern auch um kompetente
Zeitzeugenberichte über die Technologie des Kombinates und die
zukünftigen Perspektiven des Standortes. Mithin richtete sich die Tagung
an (Wirtschafts-)Historiker sowie an ehemalige und heutige Mitarbeiter.

Als erster Vortragsblock stand am Donnerstag die Thematik "Entwicklung
der Kohlentechnologie in Deutschland" zur Diskussion.[5] Manfred Rasch
(Leiter des Thyssen Krupp Konzernarchivs, Duisburg) gab zunächst einen
historischen Abriss zur Kohlenveredlung in Deutschland zwischen ca. 1800
und 1945. Er zeigte dabei, dass der Erste Weltkrieg als Initialzündung
für die Kohlenveredlung anzusehen ist. Schon in der Zeit der Weimarer
Republik wuchsen die technisch-wissenschaftlichen Bemühungen in diesem
Bereich merklich an, als Hochzeit, so Rasch, sei aber die Zeit des
Dritten Reiches anzusprechen. Michael Farrenkopf (Deutsches
Bergbaumuseum Bochum) konnte mit seinen Ausführungen zur
kokereitechnischen Entwicklung in der BRD hieran anknüpfen. Eingebettet
in die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zeigte Farrenkopf die
technische Entwicklung des konventionellen, seit den 1920er-Jahren im
breiten Rahmen eingesetzten Horizontalkammerofen für die Verkokung von
Steinkohlen auf, wobei darauf verwiesen wurde, dass die Zeitgenossen um
1960 hier keine Entwicklungspotentiale mehr sahen - eine Diagnose, die
sich dann allerdings als unzutreffend erweisen sollte. Eberhard Wächtler
(Hessisches Braunkohlenmuseum Borken) warf sodann einen breiten Blick
auf die Geschichte des Bergbaues. Er machte darauf aufmerksam, dass mit
dem industriell mechanisierten Braunkohlentagebau insofern eine neue Ära
der Bergbaugeschichte begann, als nunmehr die Gewinnung des Minerals
nicht mehr abhängig war von den humanen Fähigkeiten, sondern einzig der
Maschine unterworfen wurde.

War mit diesen drei Vorträgen Grundsätzliches und Übergreifendes
angesprochen worden, mithin eine Basis zur historischen Einbettung des
Kombinates Schwarze Pumpe gelegt, so stand die Bedeutung von "Schwarze
Pumpe" im Blickfeld der sich anschließenden Sektion. Jörg Roesler
(Leibniz-Sozietät Berlin) ging der Frage nach, ob es sich bei Schwarze
Pumpe um einen ,Schlüsselbetrieb' der DDR-Volkswirtschaft handelte. Er
gelangte zu dem Schluss, dass eine derartige Charakterisierung
sicherlich für den Zeitraum des zweiten Fünfjahresplanes treffend sei,
mit der Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik in den 1960er-Jahren
(Neues Ökonomisches System) verlor das Kombinat jedoch diese einstmalige
strategische Bedeutung. Roesler sprach zudem die Kosten des Aufbaus wie
auch die Einschätzung von "Schwarze Pumpe" in den westdeutschen Medien
an, wobei er festhielt, dass sich in den 1960er Jahren die ehedem
negative Berichterstattung ins Positive wandte. Aus technologischer
Sicht stellte das Kombinat Schwarze Pumpe einen bemerkenswerten
verbundwirtschaftlichen Komplex dar, wie der Vortrag von Günter Seifert
und Hans-Günter Stein (Traditionsverein "Glückauf Schwarze Pumpe" e.V.),
die beide an maßgeblicher Stelle im Kombinat beschäftigt waren,
verdeutlichte. Sie unterstrichen in ihren Ausführungen jedoch nicht nur
die beachtenswerten technischen Leistungen, die zu einer Optimierung der
Rohstoffnutzung beitrugen, sondern auch die mit dem Kombinat untrennbar
verbundenen ökologischen Probleme, denen man in der DDR nicht Herr zu
werden vermochte. Peter Hübner (Zentrum für Zeithistorische Forschung,
Potsdam) folgte in seinem Vortrag über Arbeit und Arbeiter im Kombinat
Schwarze Pumpe den vor einigen Jahren formulierten Ansatz einer
Geschichte der Arbeit, die an die Stelle der Geschichte der Arbeiter
treten solle. Er stellte unter anderem die Rekrutierungsstrategien der
Kombinatsleitung ebenso dar, wie den Umgang mit Arbeitszeit von Seiten
der Beschäftigten und ordnete diese Aspekte übergreifend in die noch zu
schreibende Geschichte der Arbeit in der DDR ein. Untrennbar mit dem
Kombinat verbunden war der Auf- und Ausbau der Zweiten Sozialistischen
Stadt - Hoyerswerda-Neustadt. Stefanie Wenk (TU Dresden) zeichnete die
Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Stadt nach. Sie betonte
insbesondere die Bedeutung des Aufbaues von Hoyerswerda für den
industrialisierten Plattenbau der DDR, wobei auffällig wurde, dass der
Einsatz von Portalkränen massiv die Stadtstrukturen beeinflusste, ja zur
Determinante der Neustadt wurde. Insofern ein Stadtzentrum ebenso wenig
realisiert wurde wie der Kulturpark, kam es auch nicht zu einer
strukturellen Verknüpfung der Alt- und Neustadt - die Neustadt von
Hoyerswerda blieb daher auch eine "Wohnstadt". Mit einem Ausblick auf
die prognostizierten, massiv schrumpfenden Einwohnerzahlen und deren
Bedeutung für den aktuellen Stadtrückbau beendete sie ihre anschaulichen
Ausführungen.

Die historische Technologieentwicklung in der Niederlausitz stand sodann
im Zentrum des dritten Vortragsblockes. Günter Scholz und Günter Willi
Seifert (Traditionsverein "Glückauf Schwarze Pumpe" e.V.), schilderten
anschaulich die Forschung und Entwicklung im Bereich der Kohlevergasung
zwischen 1964-2005. Eingebettet in die jeweiligen ökonomischen
Strukturen stand dabei die Materialforschung im Vordergrund wie auch die
Ausbildung unterschiedlicher Forschungsnetzwerke. Walter Osburg und
Günter Petzold (Traditionsverein "Glückauf Schwarze Pumpe" e.V. und
Traditionsverein Braunkohle Lauchhammer) berichteten über eine der für
die DDR wichtigsten Innovationen der 1950er-Jahre - den so genannten
BHT-Koks (Braunkohlenhochtemperatur Koks). Dieser erlaubte es, in
Niederschachtöfen Erze zu verhütten, was angesichts der kaum vorhandenen
Steinkohlenvorkommen in der DDR die technologische conditio sine qua non
zum Aufbau einer eigenen metallurgischen Industrie war. Zunächst in der
Großkokerei Lauchhammer praktisch erprobt, fand dieses Verfahren seine
Anwendung auch im Kombinat Schwarze Pumpe. Osburg und Petzold verglichen
daher auch in ihrem Vortrag diese beiden Industriegiganten, machten
plakativ auf die Verbesserungen, das Testen und Basteln an dem Verfahren
in Schwarze Pumpe aufmerksam.

Der zweite Tag der Tagung stand dann ganz unter dem Vorzeichen der
Zukunftsperspektiven des Standortes Schwarze Pumpe. Manfred Schingnitz,
Herbert Richter und Bernd Holle (Future Energy, Freiberg und
Traditionsverein "Glückauf Schwarze Pumpe" e.V.) machten mit ihrem
Beitrag zur Entwicklung der Flugstromvergasung, die in Schwarze Pumpe
entwickelt und erprobt wurde, auf die Potentiale dieser Technologie
angesichts immer knapper und teurer werdender Energieträger wie Erdöl
und -gas aufmerksam. Dass gerade in der Vergasungstechnologie auch
ökologische Chancen liegen, unterstrich dann Frank Kamka (Sustec
Schwarze Pumpe GmbH.) mit seinem Vortrag zur ökoeffizienten
Abfallvergasung. Er zeichnete die wechselhafte Geschichte des SVZ
(Sekundärrohstoff Verwertungszentrum) Schwarze Pumpe, das aus dem
Druckvergasungswerk des Kombinates nach 1990 hervorging, nach. Das
Kerngeschäft lag von Anfang an auf der ökoeffizienten Verwertung von
festen und flüssigen Abfällen und bildete in dieser Kombination ein
Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens. Aus dem Abfall werden
Synthesegas, Schlacke, Gips und vor allem Methanol gewonnen. Der heute
erreichte technische Standard entspricht bereits den politischen
Zielvorgaben der Abfallverwertungstechnologien für das Jahr 2020 und ist
somit richtungs- und zukunftsweisend. Hans-Ulrich Schaks (Vattenfall
Europe Mining AG) berichtet im Anschluss über die Technik der
Braunkohlenveredlung bei Vattenfall. Er gab einen Überblick über die
Produktionsziffern und die technischen Modernisierungen der ehemaligen
Brikettfabrik Mitte des Kombinates. Neben Briketts werden heute am
Standort Wirbelschichtbraunkohle und Braunkohlenstaub erzeugt, ein
besonderes Geschäftsfeld bildet die Verwertung von Xylit (nicht
entkohltes Holz, das in der Braunkohle vorhanden ist) als Geotorf. Nach
diesen drei technischen Vorträgen schloss Günter Bayerl (BTU Cottbus)
mit seinen Ausführungen über das industrielle Erbe und die
öko-industrielle Zukunft der Niederlausitz die Tagung ab. In seinem
Vortrag deutete er zunächst den Mythos Schwarze Pumpe und die ihm
zugrundliegenden realen Voraussetzungen aus, unterstrich dabei die
Ambivalenz des Mythos selbst. Angesichts der rapiden
De-Industrialisierung der Region nach 1990 sei, so Bayerl, das Erreichte
am Standort mehr als nur ein Funken Hoffnung. Vielmehr wiese die
Tradition des Kombinates Schwarze Pumpe insofern auch in die Zukunft,
als hier die ,ökologische Konditionierung' der Technik Programm und
Wirklichkeit wurde. Das historische Erbe des Kombinates und heutigen
Industrieparks Schwarze Pumpe läge in dreierlei, in der technischen
Intelligenz, die der Standort anzog und anzieht, und seinen Bauten; in
der Vorbildfunktion für eine öko-industrielle Zukunft und nicht zuletzt,
dies betonte Bayerl, böte sich der Industriekomplex als ein ,Museum des
Wandels' an.

Diese zweitägige Tagung brachte, zusammengefasst, vielfältige Einblicke
in die Zeitgeschichte einer Region, deren industrielle Geschichte noch
nicht geschrieben ist. Das Bemühen aller Referenten, sich vom gewohnten
Duktus zu befreien und damit auch für alle Teilnehmer verständlich zu
werden, sei besonders hervorgehoben. Denn dies verdeutlicht, dass es
eben durchaus gelingen kann, ein sehr heterogenes Feld an Beiträgern und
Teilnehmern thematisch zu bündeln und so den Disziplinen übergreifenden
Dialog zu erlauben. Der Tagungsband wird voraussichtlich im Frühjahr
2006 in der Reihe der "Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik,
Arbeit und Umwelt" erscheinen.


Anmerkungen:
[1] Über die Jubiläumsaktivitäten berichtet: Günter Bayerl, 50 Jahre
Schwarze Pumpe, in: Der Anschnitt. Zeitschrift für Kunst und Kultur im
Bergbau 57 (2005) 4, S. 173-177.
[2] Herbert Richter, Lose Blätter. Visionen und Realitäten. Kleine
Geschichte mit kleinen Spitzen. Aus einem Leben für Kohle und Gas.
Schkeuditz 2004.
[3] Traditionsverein "Glückauf Schwarze Pumpe" e.V. (Hg.), 50 Jahre
Industriestandort Schwarze Pumpe. Rückblicke, Einblicke, Ausblicke.
Spremberg 2005.
[4] Vattenfall Europe Mining and Generation (Hg.), Schwarze Pumpe. Forst
2005.
[5] Terminbedingt ergaben sich einige Veränderungen zum Ablauf der
geplanten Vortragsstruktur. Im Folgenden werden diese nicht
berücksichtigt, sondern die Sektionen so zusammengefasst dargestellt,
wie sie geplant waren. Dies vor allem, da somit der inhaltliche ,rote
Faden' deutlicher wird.

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