Frankreich fördert die letzte Tonne Steinkohle

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wolke
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Frankreich fördert die letzte Tonne Steinkohle

Ende einer Ära - Importkohle deutlich billiger

Creutzwald - Mit einer feierlichen letzten Grubenfahrt in Lothringen wird am Freitag das Ende des Kohlebergbaus in Frankreich besiegelt. Rund 13 Jahre nach der Schließung der letzten Zeche im Norden des Landes geht damit auch in Ostfrankreich eine Ära zu Ende, die die Grenzregion in anderthalb Jahrhunderten nachhaltig geprägt hat. Die Förderung der letzten Ladung Steinkohle aus der 900 Meter tiefen Grube La Houve bei Creutzwald wird aber nur symbolisch sein. Die eigentliche Arbeit wurde schon vor einer Woche eingestellt.

Seither sind die letzten knapp 300 Kumpel damit beschäftigt, das Bergwerk abzusichern und Geräte nach oben zu holen, die im nahe gelegenen Bergbaumuseum Petite-Rosselle an die Blütezeit des Kohlebergbaus erinnern sollen. 1960 wurden in Frankreich 59,7 Mio. Tonnen Steinkohle gefördert, dann begann wie anderswo in Westeuropa der Niedergang. Angesichts zunehmender Billigexporte wurde europäische Kohle unrentabel. In Frankreich ist längst die Atomenergie wichtigster Energieträger.

Auch die europäische Montanunion (1952 bis 2002), die der Lothringer Visionär und EU-Pionier Robert Schuman erdacht hatte, konnte das Ende der Kohleförderung in Frankreich nicht aufhalten. Aus den letzten beiden Gruben der Lothringer Steinkohlewerke Houillères du Bassin de Lorraine (HBL) wurden 2003 nur noch 1,7 Mio. Tonnen zu Tage gebracht.

Die Kohle ist schon seit langem ein Verlustgeschäft, die Förderkosten beliefen sich nach Angaben des Staatskonzerns Charbonnages de France (CDF) zuletzt auf 150 Euro pro Tonne. Importkohle koste einschließlich des Transports 40 Euro. Der Pariser Rechnungshof bezifferte die Staatshilfen für CDF von 1971 bis 2000 mit 35,5 Mrd. Euro.

Mit den Gewerkschaften besiegelten die CDF 1994 einen Kohlepakt, der das Ende des französischen Bergbaus einläutete: Vereinbart wurden bis 2005 die Schließung aller Gruben sowie ein Sozialplan.

Den letzten Kumpeln fällt der Abschied dennoch schwer. "Schon mein Großvater und mein Vater haben im Bergwerk gearbeitet", sagt Bernard Walinski, der als Steiger für eine Schicht verantwortlich war und nun eine Stelle in einem Kohlekraftwerk erhalten soll. An der feierlichen letzten Grubenfahrt will der 39-Jährige nicht teilnehmen.

Die Region ist schon lange nicht mehr vom Bergbau abhängig. Heute gehört Lothringen zu den französischen Regionen, in der die meisten Investoren aus dem Ausland vertreten sind. An die 350 ausländische Firmen mit 48 000 Beschäftigten haben sich niedergelassen, darunter der Autokonzern Daimler-Chrysler, der in Hambach seinen Stadtflitzer Smart baut. Die Roheisengesellschaft Saar (Rogesa), ein Gemeinschaftsunternehmen der Dillinger Hütte und der Saarstahl AG, kaufte gerade die Kokerei in Carling. Dort sollen mindestens fünf Jahre lang vor allem Ex-Mitarbeiter der Lothringer Steinkohlewerke beschäftigt werden. AFP

Artikel erschienen am 19. April 2004 in "Die Welt"
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